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Faserungen II

Faserungen II

2007      Farbiges Garn, Nylonfaden, Blei      300 x 500 x 600 cm (variabel)

Für Faserungen II entwirft Kathinka Willinek in den Räumen der Hamburger Fabrik der Künste das Szenario einer Dreierfrauengruppe. Mit der Installation setzt die Berliner Künstlerin die Arbeit an ihrer jüngsten Werkgruppe der RaumBilder fort.

Vor einem schwarzen Wandvorhang leuchten drei lebensgroße weibliche Gestalten im Spotlicht auf, deren unterschiedliche Pose, Alter und Attribute von den drei Moiren, den drei Schicksalsgöttinnen in der griechischen Mythologie inspiriert sind. Links vorne ist Klotho mit der Spindel, die den Lebensfaden spinnt; rechts verkörpert eine zweite Lachesis, die Maßnehmende, während die Mittlere weiter hinten die unabwendbare Atropos, die weder umgangen noch gemieden werden kann, personifiziert.

Das Oszillieren der Figuren zwischen erstarrter Pose und lebender Skulptur, physischer Präsenz auf der Bühne und ihrer Stillstellung im Bild macht die besondere Faszination des tableau vivant aus.

Dem Geheimnis ihrer technischen Fertigung kommen die Betrachter erst beim Nähertreten auf die Spur. Die Figuren muten wie flirrende Lichtbildprojektionen an, basieren aber auf akribischer, zeitintensiver Handarbeit. Nylonfäden, die in Abständen von 1 cm von der Decke hängen und drei etwa 90 cm breite Vorhangbahnen formen, dienen als Bildträger, an welche Kathinka Willinek kurz geschnittene Bindfäden unterschiedlicher Farbe geknotet hat. Aus der Entfernung verschmelzen die einzelnen Knotenpunkte in der Wahrnehmung der Betrachter, so dass im Spiel des reflektierenden Lichts und der Luftzirkulationen im Raum die drei Töchter der Nacht sich aus ihren erstarrten Posen heraus zu bewegen beginnen. Die schillernden Gestalten scheinen ans Licht zu treten und wieder zu verschwinden, sich auseinander zu bewegen oder miteinander zu kommunizieren.

Für die Fäden spinnenden Göttinnen hat die ausgebildete Keramikerin und Videokünstlerin bewusst auf gemeinhin mit typischer Frauenarbeit assoziierte Knüpf- und Webtechniken zurückgegriffen. Wird ein Knoten gesetzt, ist er nicht einfach wieder zu lösen. Augenzwinkernd erlaubt sie sich, Abweichungen und Auslassungen gegenüber der fotografischen Vorlagen vorzunehmen – Leerstellen, die an das Vorstellungsvermögen der Betrachter appellieren und Räume für Phantasien eröffnen.

In den Gesichtern der drei Göttinnen verdichten sich die Knoten. Ihr wohlwollender und zugleich unberechenbarer Ausdruck bleibt dennoch verschwommen und hält ihr Urteilen im Ungewissen. Die Deutung bleibt der jeweiligen Anschauung offen.

Zeit stellt ein zentrales Moment der Installation dar. Den drei Göttinnen war dem antiken Mythos nach die Macht zuteil, über Schicksal und Lebenszeit der Menschen zu bestimmen.

Nicht nur bedarf es Zeit, die Raumbilder zu knoten, auch entfalten die Figuren erst im wechselnden Licht und aus unterschiedlichen Perspektiven heraus ihre stofflichen, sinnlichen Qualitäten und lassen vor dem Auge der Betrachter das mythische Schauspiel entstehen.

Caroline Philipp, Kunsthistorikerin